Es ist fast 40 Jahre her und ich sehe die Szene noch total präsent vor mir. Mein Vater und ich, damals knapp sechsjährig, befinden uns auf der Zürcher Sportanlage Buchlern. Ich bin aufgeregt. Wie immer, wenn ich einem Fussballspiel meines um zehn Jahre älteren Cousins beiwohne. Er ist mein Idol, weil er schon lange in einem richtigen Fussballclub spielt.
Das Spiel ist vorbei, Hand in Hand laufe ich mit meinem Vater in Richtung Auto. Dann blicke ich zu meinem Vater hoch, fasse meinen ganzen Mut zusammen und frage ihn, ob ich auch in einem Fussballclub spielen dürfe. Ohne mit der Wimper zu zucken, sagt er ja. Ich bin fassungslos. Nie hätte ich geglaubt, dass sich der damals für mich grösste Wunsch meines Lebens so leicht erfüllen liesse. Einfach unglaublich! Bald würde ich auch Teil eines Geschehens werden, das bisher überhaupt nicht in Reichweite lag. Etwas, was bisher nur einige Freunde, meistens ältere, erleben durften. Richtige Nockenschuhe, eigene Stülpen und Schienbeinschoner zu besitzen, einen Coach zu haben, Meisterschaftsspiele mit Schiedsrichter zu bestreiten, auf richtige Tore mit Netz zu schiessen: Mir sollte sich eine andere Welt eröffnen, im Vergleich zum Fussball, den wir bis zu diesem Zeitpunkt in unserem Hof gespielt hatten – mit zwanzig Kindern, die auf Teer kickten und wild aufeinander losgingen, das eine Tor bestehend aus zwei Jacken, das andere aus einer Teppichstange und rechts und links die geparkten Autos als «Seitenlinien».
Die ersten Trainings, die ersten Spiele, die neuen Freunde… das war zu Beginn sehr aufregend und blieb es für die weiteren 40 Jahre meines Lebens. Die Freude am Spielen kannte ich zwar schon vor meinem Eintritt in den Club, nur war hier der Kontext ein ganz anderer.
Was für mich wirklich neu war und mich auch als erwachsener Spieler noch faszinieren würde, waren jene Momente, die sich ausserhalb des Fussballfeldes abspielten, und zwar vor allem die Zeit in der Kabine. Hier war die ganze Mannschaft von der Aussenwelt abgeschottet. Die Eltern, die Freunde, die wenigen Zuschauer, aber auch die Gedanken, Sorgen, Probleme, die man sonst hatte, mussten draussen warten. In der Kabine wurdest du Teil eines Ganzen. Du musstest deine Zivilkleidung, dein Ich, dein Ego ablegen und in ein einheitliches Trikot schlüpfen. Du musstest, wie die anderen auch, die Anweisungen des Trainers befolgen. Die dir zugewiesene Rolle oder Aufgabe hattest du im Sinne der Mannschaft zu erfüllen. Und innerhalb dieses sehr klar strukturierten Ablaufs, von der Vorbereitung, zur Ansprache, bis hin zur Pause und zum Duschen nach dem Spiel, bot die Garderobe Platz für ein ganzes Sammelsurium an Emotionen: Belanglose Gespräche unter Freunden, Wutausbrüche, Tränen, Momente absoluter Konzentration, Verzweiflung, Freude. Alles durfte sein.
All dies suchte ich in meinem Film. Einerseits aus Nostalgie, weil meine Erinnerungen an die Garderobe noch so präsent sind und ich sie über andere Menschen wiedererleben wollte. Andererseits, weil ich herausfinden wollte, ob auch die anderen Spieler*innen, unabhängig von ihrem Niveau, ihrem Alter, ihrer Herkunft, ihrem sozialen Status oder Ihrem Geschlecht, innerhalb der Garderobe ähnliche Emotionen empfinden.
Während meinen Recherchen bei Clubs und Spielern aller Couleur, stiess ich mit meiner Idee, einen Dokumentarfilm zu realisieren, der sich fast ausschliesslich in der Kabine abspielt, auf ungeteilten Enthusiasmus. Alle Fussballer*innen und Trainer konnten sofort nachvollziehen, wonach ich suchte, obwohl es mir manchmal schwer fiel, es in Worte zu fassen. Alle teilten die Meinung, die Kabine berge zahllose magische Momente. Und alle fanden es nützlich, diesen für die meisten Leute weitgehend unbekannten Ort, und zwar als ein Ort der Transformation, der Abgeschiedenheit und der Geheimnisse zu zeigen, ein Ort, der wie kein anderer ein Wechselbad von Gefühlen und Emotionen zulässt.